Zukunfts-Zug
Seit Montag sind in Norddeutschland für die evb zwei mit Wasserstoff betriebene Triebwagen im Einsatz. Bericht von Jonas Bechtel, erschien erstmals bei der tuuwi.
Leise sirren die Motoren, und der Zug setzt sich in Bewegung, bis die Aggregate nach ca. 6 Sekunden mit einem unüberhörbaren mittel-hoch-frequenten Ton einsetzen. Sobald der Coradia iLint, vorgestellt auf der letzten Eisenbahn-Messe Innotrans (2016) und (schon) im Juli dieses Jahres (2018) zugelassen, die Reisegeschwindigkeit erreicht hat, hört man im Fahrgastraum wieder – nichts*.
Was ist besonders an diesem Zug? Er fährt erst seit Montag, pünktlich zur diesjährigen Innotrans (2018) vom Hamburger Umland an die Nordsee und ist damit der weltweit erste mit Wasserstoff betriebene Zug im regulären Linienbetrieb.
Während der Wasserstoffantrieb bei Privat-Autos wohl nie eingesetzt werden wird, ist ein Einsatz im Busnahverkehr möglich, so testet die Hochbahn seit 2003 mehrere Modelle. Der Einsatz von Wasserstoffzügen im Schienen-Fernverkehr ist ebenso unwahrscheinlich, wie es auch bei den Dieselzügen ist: Der Betrieb der ICE-TD der DB wurde im Jahr 2017 eingestellt. Der Hauptgrund liegt wohl in der niedrigen Leistungsdichte der Diesel-/Wasserstoff-Technik. Für die hohe Fahrleistung (also den hohen Energieverbrauch) im Hochgeschwindigkeitsverkehr müssten Großteile des Zugs aus Antriebstechnik bestehen.
Aber für den Nahverkehr auf selten befahrenen** unelektrifizierten Strecken stellt der Wasserstoffantrieb eine wirtschaftlich sinnvolle Option dar.
Es gibt verschiedene Stoffe, die in Brennstoffzellen in elektrischen Strom und Wärme umgewandelt werden. Hier geht es um den reinen Wasserstoff (H2), der entweder als Abfallprodukt aus einem chemischen Prozess anfällt oder per Elektrolyse aus Wasser (H2O) entsteht. Für die Elektrolyse wird Strom gebraucht, der z. B. von einem Windrad während Stromüberschussphasen erzeugt werden könnte.
In der Brennstoffzelle wird auf der einen Seite Wasserstoff und auf der anderen Seite Sauerstoff an eine Membran geführt. Der Wasserstoff ist einerseits bestrebt, zum Sauerstoff zu gelangen, passt aber nur ohne sein Elektron und ohne Molekülbindung durch die Membran. Da die Anziehungskraft des Sauerstoffs größer als die Bindung zum anderen Wasserstoff-Atom und zu den Elektronen in der Atombindung ist, wandern die Wasserstoff-Ionen (H+) durch die Membran und reagieren auf der anderen Seite mit dem Sauerstoff. Die freiwerdenden Elektronen werden mit einer Platte gesammelt und stellen den Strom dar, der nach Parallelschaltung und Umrichtung für einen Zugantrieb genutzt werden kann.
Die wichtigsten Antriebsarten sind hier in einer Tabelle dargestellt. Nicht im Vergleich sind die folgenden Antriebstechniken enthalten: Seilbahnen, Standseilbahnen, Batteriebetrieb, Dampfloks.
Elektrisch (Fahrleitung/Stromschiene) | Elektrisch (Wasserstoff) | Dieselbetrieben (inkl. dieselelektrisch) | |
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Energiebetrachtung (Ausschnitt) | Mittlerer Verlust bei Übertragung, hoher Wirkungsgrad der Motoren | Hoher Verlust durch Brennstoffzellen (nur 42% Wirkungsgrad bei einem Zyklus***), hoher Wirkungsgrad der Motoren | Geringer Verlust beim Öltransport (?), Geringer Nutzwirkungsgrad des Motors (33 %) |
Sicherheit | Sicher. Es darf niemand an die Oberleitung/Stromschiene fassen. | „Genau so sicher wie andere Zugfahrten auch“. [Wenn sich Wasserstoff mit Luft/Sauerstoff mischt, entsteht explosives Knallgas.] | Sicher. Die Entlüftung der durchfahrenen Tunnel muss funktionieren. |
Geschwindigkeit | Hoch | Hoch (nicht so hoch wie mit Oberleitung) | Hoch (nicht so hoch wie mit Oberleitung) |
Leistungsdichte (je höher die Dichte, desto weniger Platz braucht eine Antriebseinheit) | Hoch (eine Lok reicht vor einem langen Güterzug/Schnellzug) | Niedrig (Speicher, Brennstoffzellen und Umrichter brauchen Platz) | Niedrig (zwei Loks BR 218 sind vor einem IC nötig.) |
Lautstärke | Leise | Laut beim Anfahren, leise im Leerlauf | Sehr laut beim Anfahren, laut im Leerlauf |
Schadstoffausstoß | Nur bei der Stromerzeugung, wenn überhaupt. | Nur Wasserdampf, außerdem während der Stromerzeugung, wenn überhaupt. | Wasserdampf, Feinstaub, Kohlenstoffdioxid, Kohlenstoffmonoxid, u. a. (berechenbarer als bei Diesel-Pkw) |
Anfahrdynamik (eine schnelle Beschleunigung ermöglicht kompaktere Bahnhöfe) | Hoch | Mittel | Niedrig |
Energierückgewinnung | Heute Standard; häufig per Einspeisung in die Stromleitung. | Technisch möglich, derzeit mit Lithium-Ionen-Akkus zwischengespeichert. | I. d. R. keine (ggf. im dieselelektrischen Betrieb) |
Wenn der Zug bremst, wird die zurückgewonnene Energie in den Lithium-Ionen-Akkus gespeichert. Technisch wäre es zwar möglich, am Zug eine Elektrolyse durchzuführen und die zurückgewonnene Energie als Wasserstoff wieder in die Tanks zu speichern. Aber die notwendigen Apparate sind vmtl. aufwändiger und teurer als die Akkus.
Derzeit stammt der Wasserstoff noch vom „Großmarkt“, könnte aber auch bald von einem Chemiebetrieb in Stade geliefert werden, wo er als Abfallprodukt anfällt. Und vielleicht werden in Zukunft tatsächlich die Windenergieanlagen für die Wasserstofferzeugung genutzt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass bald weitere spannende Meldungen rund um den neuen Wasserstoffzug zu lesen sein werden.
* Dass man nichts hört, stimmt nicht. Abhängig davon, an welcher Stelle im Zug man sich befindet, hat man ein so starkes Klimaanlagengeräusch, dass man die feierliche Begrüßungs-/Verabschiedungsdurchsage schlicht nicht verstehen kann.
** (1 Zugpaar pro Stunde)
*** Die Elektrolyse von Wasserstoff aus Wasser hat einen energetischen Wirkungsgrad von 70%; die Nutzung in der Brennstoffzelle geht mit Wirkungsgraden um 60% einher. Insgesamt weist das Wasserstoffsystem also (ohne Transport) einen Wirkungsgrad von 42% auf. Falls der Wasserstoff als Abfallprodukt in einem Industrieprozess anfällt, kann dieser Wert sogar steigen.
Hier ein Bild von Wikimedia:
Erste Veröffentlichung hier auf jbechtel.de: am 11. Dezember 2018
(Kl. Update): Link zur Betreibergesellschaft evb: 17. Februar 2019